Ich sprach jüngst über eines meiner Lieblingsthemen: Das Kürzen von Läufen. Das ist im Zuge der Schalldämpfer-Euphorie natürlich verständlich, aber ein paar Leute vergessen Details, die sie nachher in den Arsch beißen könnten. Deswegen jetzt dieser Grundlagen-Artikel von mir.
Zu aller erst: Vergesst bitte nicht, dass Langwaffen mindestens 30cm Lauflänge bei geschlossenen Verschluss brauchen und mindestens 60cm kürzeste verwendungsgemäße Gesamtlänge. Und dass spanabhebende Bearbeitung des Laufs nicht jedem gestattet ist. Das ist er rechtliche Teil.
Aber jetzt der praktische Teil. Zu Beginn eine interessante Frage, die manchen als Fangfrage aus der Jägerprüfung oder dem Wiederladekurs bekannt ist: Wo ist der Gasdruck im Lauf am höchsten? Die Antwort: Der Gasdruck ist natürlich überall im Lauf zwischen Kammer und Geschoss gleich. Das wußte schon Boyle im 17ten Jahrhundert. Aber der Gasdruck wird natürlich im ganzen Lauf niedriger, je weiter sich das Geschoss von der Kammer entfernt, weil sich das Gas in einem größeren Volumen ausbreiten kann. Und das ist wichtig, weil der Knall, der an der Mündung entsteht, davon abhängt, wie hoch der Gasdruck an der Mündung ist. Wer also den Lauf absägt, um später einen Schalldämpfer drauf zu tun, hat erst mal eine lautere Waffe als vorher.
Jetzt aber zum interessanten Teil: Lauflängen von Halbautomaten. Bei einem Halbautomaten reden wir nämlich nicht nur über die Lauflänge, sondern auch über die Position der Gasentnahme. Und damit über die Strecke vom Patronenlager bis zur Gasentnahme und die von der Gasentnahme bis zur Mündung.
Jaaaa, er gibt auch Halbautomaten ohne Gasentnahme im Lauf. Die Geschichte hat es, dass die deutsche Wehrmachtsleitung im 2ten Weltkrieg die Idee, ein Loch in den Lauf zu bohren arg doof fand und Gasentnahmen an der Mündung haben wollte. Wurde experimentell gebaut, war aber scheiße. John Garand in den USA hat die Idee schnell verworfen und die GIs sind deswegen durch die Bank weg mit funktionierenden Halbautomaten aufmarschiert, während die Deutschen sagen konnten „Äh, mein Stg 44 ist noch in der Post, aber guck mal, ich hab noch dieses tolle Jagdgewehr von Mauser hier, das schleppe ich schon seit dem ersten Weltkrieg“.
Wir erinnern uns: Ein Gasdrucklader benutzt einen Teil der Gasdrucks, um den Ladevorgang für die nächste Patrone anzutreiben. Der fehlt, um das Geschoss nach vorne zu treiben, was aber vernachlässigbar ist. Kurzer Check: In welcher Zeit wirkt dieser Gasdruck? Nachdem das Geschoss die Gasentnahme passiert hat, bis es die Mündung verlässt. Kann ja nicht sein, solange sich das Geschoss vor der Gasentnahme befindet, denn die ist dann versperrt; und auch nicht nach dem das Geschoss die Mündung verlassen hat, denn da geht das Gas in die Umwelt und nur ganz wenig in die Entnahme. Die Zeit, wo der Gasdruck sich auf den Verschluss auswirken kann, nennt man dwell-time.
Und da ist schon der Grund, warum man nicht einfach den Lauf absäbeln kann bis zur Gasentnahme: Dann wirkt der Gasdruck auf den Ladevorgang nicht.
Okay, eingestanden: Theoretisch sind das null Sekunden (Gasentnahme sitzt direkt an der Mündung) und damit funktioniert das nicht. In der Praxis isses etwas mehr, deswegen geht’s manchmal: Das Loch von der Gasentnahme ist in der Mitte einen breiten Gasblocks (sagen wir, der ist 30mm breit, das Loch ist in der Mitte, also 15mm Strecke, auf denen der Gasdruck auf den Verschluss wirken kann) und nicht direkt an der Mündung. Und die Mündung ist eh‘ nicht bündig abgesägt, weil wir unbedingt ein Mündungsgewinde haben wollen für den Schalli und der Dreher wollte noch etwas Freistich und Phase für sein Gewinde (noch mal 15mm). Mit 30mm Abstand zwischen Gasentnahme und Mündung kann man noch was reißen1
Theoretisch geht das also nicht, praktisch geht das manchmal schon. Aber nicht unbedingt zuverlässig.234
Wie löst man das Problem, ohne die Gasentnahme weiter Richtung Patronenlager zu verlegen? Man muss halt in der kurzen Zeit mehr Gas abzapfen, indem man die Bohrung der Gasentnahme vergrößert. Die AK macht das berühmtermaßen von Haus aus. Die hat in der Normalform eine riesige Sicherheitsmarge (oder auch „Überfunktion“). Der Preis ist, dass die AK verhältnismäßig stark tritt: Die ideale AK würde den Verschluss bis kurz an den Anschlag bewegen, eine typische AK knallt den gegen den Anschlag5. Die AK tritt sie sowieso schon fies, wenn sie in 7.62×39 gebaut ist; aber auch in dem Kaliber könnte man was netter zu schießendes bauen, wenn man auf so viel Sicherheitsmarge verzichtet. Gerade 7.62×39 wäre da eigentlich eine gute Basis, weil es da nicht so viele unterschiedliche Laborierungen gibt, auf die man Rücksicht nehmen muss: Der Russe kennt ja gerade mal drei Geschosse (FMJ, Soft-Tip, und HP, alle mit der gleichen Geschossform, nix fancy Boattail oder so) und anderthalb Geschossgewichte (fast immer 125gr und ganz selten 150gr).
Bei unserem Lieblingskaliber .223 Rem ist das nicht so. Hey, da gibt es ja noch ein anderes Kaliber namens 5.56×45 NATO, was nicht komplett unähnlich ist, eine weitere Spanne von erlaubtem Gasdruck, Geschossgewichte vom 45gr Varmint-Geschoss bis 90gr VLD OTM, gefühlte eine Millionen Hersteller von Munition… und bei AR-15s hält man es auch nicht so mit Sicherheitsmargen bei der Gasentnahme, denn zu viel Gasdruck sorgt hier nicht unbedingt für mehr Sicherheit, sondern eventuell auch dazu, dass der Verschluss sich schneller bewegt, als das Magazin Munition nachführen kann und dann gibt’s Failure-to-Feed, Carrier Bounce und einen Haufen schwer zu diagnostizierenden Kram.
Deswegen empfehle ich jedem beim AR-15 statt einer Laufkürzung einen Lauftausch mit neuem Gassystem (oder, gnihihi, gleich einen neuen Upper), zumindest, sobald mehr als 5cm ab sollen6. Die meisten möchten ja im neuen, wunderbaren Schalldämpfer-Zeitalter jetzt eine kurze Waffe, die mit Schalldämpfer wieder die ursprüngliche Länge hat. Das ist imho nicht mit der gleichen Gasentnahme-Position zu machen.
Jetzt noch ein letztes technisches Detail, den bisher wirkte das Problem ja noch mit Geld zu lösen: Die Auswirkungen des Schalldämpfers. Ein Schalldämpfer ist eigentlich nur eine Laufverlängerung, wenn man es aus Perspektive des Gasdrucks betrachtet. Ein Schalldämpfer erhöht den Gasdruck. Wer seine Laufgekürzte Waffe also endlich zum Laufen gebracht hat, steckt den Schalldämpfer auf und hat, positiv gesprochen, eine riesige Sicherheitsmarge gewonnen. Nur, dass es die beim AR-15 nicht gibt, siehe weiter oben. Wer also die gleiche Waffe auch mit Schalldämpfer bedienen will, hat im besten Fall mehr Dreck im Gesicht, im schlimmsten häufige FTF. Die Standard-Lösung ist daher die verstellbare Gasentnahme.
Tja, und an die muss man rankommen. Da bleibt die Möglichkeit, entweder einen kürzeren Vorderschaft zu verwenden (keine Over-the-bore-Grifftechnik mehr!), den Drehkopf bis an die Mündung zu verlängern (wackelig!) oder sie von der Seite durch den Vorderschaft zu verstellen (fuckelig!). Alternativ kann man eine der Waffen wählen, die den Gasblock ziemlich weit vorne ansetzen und das mit ruppigerem Schießverhalten kompensieren wie das Bushmaster ACR oder FN SCAR. Die spannendste Alternative ist der GEMTECH Suppressed Bolt-Carrier, zu dem ich allerdings nichts weiß, außer, dass ich niemanden kenne, den ich Ernst nehme und der (oder die) ihn je getestet hat.7
So, jetzt wünsche ich Euch allen eine unruhige Nacht, wälzt Euch noch mal hin und her und überdenkt Eure AR-15-Schalldämpfer-Builds. Als Denkstütze hier noch ein Artikel, der die typischen Längen für typische Gassysteme am AR-15 erklärt. Da gibt es viele, aber den fand Tamara Keel gut: AR-15 gas system lengths explained.
PS: Ich bin ein Fan von Dissipator-AR-15s. Man kann keinen Dissipator bauen, ohne was über Gasentnahmen und ihre Probleme zu lernen. Deswegen spare ich mir meine Ausführungen und verlinke einfach diesen Artikel.