In meinem Bekanntenkreis ergab es sich jüngst, dass ein Beschussamt den Beschuss eines AR-15s verweigerte, weil der Waffe ein Gemtech Verschlussträger beilag.
Deren Argument: Der Einbau des Verschlussträgers, ab hier BCG, Bolt carrier group, würde die Waffe zu einer Kriegswaffe machen. Verwirrung überall? Jupp, angemessen.
Technischer Hintergrund
Worum es eigentlich geht, erklärt David von Rainier Arms: Der Gemtech ist am hinteren Ende etwas weniger abgefräst als viele zivile BCGs. Das ist auch sinnvoll, denn der ist für Schalldämpfer-Betrieb gedacht. Schalldämpfer erhöhen die Kadenz durch mehr Rückstau beim Gasdruck. Mehr Masse am BCG senkt die Kadenz wieder. Super, weniger Verschleiss! Bei einem BCG kann man nicht an vielen Stellen Material stehen lassen, der darf nicht länger und breiter werden, er hat ja ein Standard-Format, also geht das eigentlich nur da.
Nun haben militärische BCGs genau diese Eigenschaft und die tatsächlich auch, um Reihenfeuer zu ermöglichen. Allerdings braucht es dafür drei Dinge:
- Ein Abzug, der Vollauto kann. Der hat einen zusätzlichen Hebel, den der BCG herunter herunter drückt und damit dafür sorgt, dass der Hammer am Ende eines Schussvorgangs nicht gefangen wird, sondern den nächsten Schuss auslöst.
- Platz für diesen Hebel im Lower Receiver. Das ist der berühmte „sear cut“, der einen Full-Auto-Lower ausmacht und der bei unseren deutschen Waffen immer geschlossen ist.
- Eine BCG, die den in 1. erwähnten Hebel herunter drücken kann.
Es braucht alle drei zusammen, sonst geht das nicht. Damit ist es zumindest mal keine Vollauto-Waffe nach gesundem Menschenverstand, denn sie kann nicht vollautomatisch schießen.
Um es bunter zu machen: Das ist natürlich nicht die einzige Möglichkeit, ein AR-15 vollautomatisch schießen zu lassen. Nicht mal die einfachste. Tatsächlich gibt es viele, manche krude (wie die berüchtigte Büroklammer, die das Hammer-Sear unten hält), manche sehr elaboriert.
Technisch ist das also Quatsch. Rechtlich kann das anders aussehen.
Rechtlicher Hintergrund
Nun bin ich kein Anwalt für Waffenrecht, Mitarbeiter eines Beschussamts oder beim BKA. Gottseidank. Das Kriegswaffenkontrollgesetz kenne ich aber.
Teile, die nicht eindeutig in Funktion zu einer Kriegswaffe stehen (in der Regel bezogen auf konstruktive Merkmale), vielmehr ambivalent sind (d. h. gleichermaßen für Kriegswaffen und Nicht-Kriegswaffen verwendbar sind), werden wie folgt erfasst:
Begriff Kriegswaffe
[…]– b.)
Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen, Erläuterungen zur Kriegswaffenliste, Punkt 5.
Handelt es sich dagegen um eine zivile Entwicklung oder um eine technisch – konstruktiv bedingte Ambivalenz (z. B. bei gewissen Schiffsrümpfen), beginnt die Behandlung als Kriegswaffe mit dem Zeitpunkt, in dem durch objektive Umstände die Zweckbestimmung als Kriegswaffe erkennbar wird (z. B. Auftragserteilung, Beginn spezifisch militärischen Innenausbaues, Anbringung von Zusatzvorrichtungen).
Das ist zwar etwas verklausulierter, aber wir halten fest: Die Gemtech BCG ist nicht eindeutig für eine Kriegswaffe gedacht, deswegen steht im Namen was von suppressor, nicht full auto. Und deswegen benutzt ihn auch keine Armee der Welt.
Die BCG ist außerdem ganz klar eine zivile Entwicklung, genau wie das restliche AR-15 mit Lower ohne Sear Cut und ohne Full-Auto-Abzugsgruppe. Und zur Kriegswaffe würde das erst werden, wenn man den Auftrag geben würde, alle drei Teile zu ändern. Ich wüsste nicht, wo man in Deutschland oder den USA eine FA-Abzugsgruppe bekommt und den Lower müsste man passend fräsen lassen, da gibt es auch keine.
Erst dann wäre die Zweckbestimmung als Kriegswaffe erkennbar.
Und noch mal aus technischer Sicht: Wer meint, dass diese Modifikation jetzt ein erster Schritt in die Richtung „vollauto“ wäre, müsste belegen, dass es explizit, ganz genau, nur in diese Richtung geht. Und das ist in beide Richtungen falsch: Diese Modifikation hat auch einen anderen Sinn (Kadenzsenkung durch Gewichtssteigerung); und es gibt auch andere Lösungen, um eine Waffe auf vollautomatischen Betrieb umzubauen, die diese spezielle BCG nicht brauchen1.
Das einzige Problem hier bleibt, dass in Deutschland natürlich Recht haben und Recht bekommen nicht zusammen hängen und selbst wenn es gelingt, der Weg dahin, monetär betrachtet, nicht sonderlich günstig ist.
Sprechen wir jetzt aber noch mal über die Sinnhaftigkeit von vollautomatischen Waffen.
Taktischer Hintergrund
Schusswaffen sind Werkzeuge um Geld in Lautstärke zu verwandeln. Vollautomatische Schusswaffen machen das schneller als halbautomatische. Und wenn Ihr mich fragt: Das war’s.
Okay, andere Leute finden das geil. Mich läßt’s kalt. Ich denke beim Vollauto-Schießen immer nur daran, wie teuer das jetzt gerade ist23.
Und taktisch ist vollautomatisches Schießen auch speziell: Wer eine Gruppe hat und eine gute Logistik-Kette hinter sich, die dafür sorgt, dass der ein paar Meter entfernte Humvee voll mit Magazinen ist, der kann mit vollautomatischem Feuer ein paar tolle Dinge, hauptsächlich zum Nutzen seiner Kameraden, weniger seiner selbst, anstellen
Aber ein Individuum, das über Selbstverteidigung nachdenkt, ist mit gezieltem Feuer immer besser bedient. Und selbst eine Gruppe, die weit entfernt von ihren Versorgungslinien agiert, muss eine ziemlich stark abwägen, wie nützlich der Einsatz ist.
Anders gesagt: Wir brauchen das nicht, uns macht das nicht gefährlicher. Der fiese, amoklaufende lone gunman auch nicht. Die ganze Angst unserer Oberen und Besseren davor, dass jemand von uns eine vollautomatische Waffe in die Finger kriegt, ist unbegründet. Es liegt meiner Meinung nach schlicht und einfach daran, dass es so leicht ist zu messen, ob eine Waffe vollautomatisch schießt. So ist das mit Kriterien: Die werden eben nicht nach Zweckmäßigkeit gewählt sondern auch nach Bequemlichkeit. Übrigens der gleiche Grund, warum diese hahnebüchenen Einschränkungen bei Flugreisen existieren. Sinnvoll wäre, Leute darauf zu überprüfen, ob sie Terroristen sind. Aber das ist kompliziert. Nagelscheren zu verbieten ist einfacher. Und dort, wo eh‘ kein Terror passiert, stört das auch nicht. Und dort, wo es wichtig ist, wird eben auch anders kontrolliert – Israel macht letzteres berühmtermaßen recht unangenehm und wahnsinnig erfolgreich vor.
Zur Güte
Falls Ihr Euch trotz des langen Texts an das Video am Anfang erinnert: Da ist auch eine Lösung. Lasst einfach was vom Gemtech BCG abfräsen, dann seid Ihr auch sicher vor übereifrigen Beschussamt-Angestellten. Auch wenn es Quatsch ist. Das ist natürlich nicht günstig, weil der Stahl ordentlich vergütet ist und dementsprechend den Fräser verschleißt. Deswegen würde ich abwarten, ob noch mal so ein halb-informierter, aber Voll-Befähigter seine Meinung kund tut.